Lager Lebedjan - Widdershausen aktuelles Projekt

Chronik Widdershausen
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Lager Lebedjan

Chronik 3 > 2.Weltkrieg > Kriegsgefangenschaft
Kriegsgefangenenlager 35 Lebedjan am Don

Nach seiner Gefangennahme am 06. Mai 1945 bei Pisek in Tschechien wurde Heinrich Koch (1919-2014) aus Widdershauen von tschechischen Milizen 08.05.1945 an amerikanische Einheiten übergeben.
Diese lieferten alle Angehörigen der 6. Armee am 10.05.1945 an die gerade in Pisek eingetroffenen russischen Einheiten aus.
Heinrich Koch kam am 30. Juni 1945 mit einem Gefangenentransport in Lebedjan am Don an. Aus den Wehrmachtssoldaten wurden voina plenis (Kriegsgefangene). Dicht gedrängt, auf Holzpritschen wärmten sie sich. Es gab keine Decken und alle hatten Läuse. Der Hunger war unerträglich. Zum Essen gab es Wassersuppe und Brot (Kascha und chleba).
Skizze des Kriegsgefangenenlagers Nummer 35 bei Lebedjan, einem kleinen Ort etwa 300 km südöstlich von Moskau am Don.
Nur wenige Meter von der Westseite des Lagers entfernt zieht der Don nach Süden. Jenseits des Don, der entlang des Stadtrands von Lebedjan einen weiten Bogen schlägt, liegt aus Sicht des Lagers westlich oben auf einer Anhöhe die Dreifaltigkeitskathedrale. Mit ihren drei bauchigen Türmen und den orthodoxen Kreuzen darauf ist sie unverwechselbar. Die Stadt Lebedjan, die die Gefangenen nie betraten, liegt ca. 3 km vom Bahnhof entfernt in südlicher Richtung auf der jenseits des Don sich erstreckenden Anhöhe. Sie befindet sich inmitten des russischen Plateaus, der großen Ebene, die ehedem selten von Bäumen bewachsen war, sondern als Steppenland vorwiegend der Viehzucht Raum bot. Lebedjan - schon damals eine Stadt von ca. 20 000 Einwohnern - liegt etwa 380 km südlich von Moskau, 50 km nordwestlich von der Bezirkshauptstadt Lipetsk und ca. 80 km nordöstlich von der nächst größeren Stadt Jelez entfernt. Das Ackerland besteht aus tiefschwarzem, fruchtbarem Boden.
Skizze des Kriegsgefangenenlagers Nummer 35 bei Lebedjan, diese wurde vom ehemaligen Kriegsgefangenen Rudi Heger (1928-2016) aus dem Gedächtnis gezeichnet.
Die russischen Bewacher hatten selbst kaum etwas zu essen, dennoch konnten sie mitunter mit ihren Waffen Wild erlegen und waren somit in einer besseren Versorgungssituation. Den Berichten nach waren sie streng, aber nicht unmenschlich. In schwierigen Situationen siegte meist ihr Mitgefühl mit dem Elend der Gefangenen. So war es leider häufig anzutreffen, daß auf dem 30 km langen Arbeitsweg vom Waldlager, das im Nordosten von 35/I bereits seit dem I. Weltkrieg bestand, manch völlig enträfteter Gefangener nicht weiter konnte. Gemäß Befehl durfte er nicht allein zurückbleiben, sondern sollte erschossen werden. Mitgefangene entledigten sich heimlich eines Teiles der Tagesladung an gefällten Bäumen, legten ihren Kameraden auf das Gefährt und zogen ihn mit letzter Kraft in das Lager bzw. Lazarett. Als dies bemerkt wurde, griff der Bewacher unmißverständlich zu seinem Gewehr. Die Gefangenen redeten wie mit Engelszungen auf ihn ein - mit Erfolg - und der Tross zog weiter.
Eine echte Sensation im Kriegsgefangenenlagers Nummer 35 bei Lebedjan war der Zauberer Potassy. Damals ein schmächtiger Gefangener, vollführte er staunenswerte Zauberkunststücke.
Wir arbeiteten in einem Kohlenbergwerk, dann beim Bahngleisbau, bei der Kartoffelernte, in den Öllagern, beim Hausbau, Dreschmaschinenbau, in der Gießerei und beim Straßenbau. Wir waren Lastenträger in Bahnhöfen und Lager.
In all dem Elend hatten wir in der russischen Bevölkerung auch Freunde. Sie waren genau so arme Schweine wie wir.
Nichts zu fressen, nichts zum Heizen, es hieß immer nur: roboti, dawai!
Aus den Kohlengruben brachten wir Kohlenstaub in den Hosentaschen an den Tag und tauschten diese mit den Russen gegen Gurken oder Chleba (Brot).
Als ich an der Kreissäge arbeitete, gab es Sägespäne. Auf diese lauerten die Russen – und der Tauschhandel blühte.
Unsere Aufpasser, die Natschalniks waren alte Soldaten. Mit ihnen hatten wir gutes Einvernehmen.
Die Verständigung war gut, obwohl keiner die Sprache des anderen verstand. Fressen und Obszönitäten. Not macht erfinderisch. Die Russen teilten mit uns ihren, in die Pravda gedrehten, fürchterlichen Machorka. Das ist ein saustarker Tabak und vertrieb für kurze Zeit den Hunger.
Skizze von Rudolf Heger der 5 Jahre als Gefangener in Lebedjan verbrachte. Aus dem Buch Stationen meines Lebens von Rudolf Heger, Verlag: Stahl, Hajo, August 2008, ISBN: 978-3000254802
Skizze von Rudolf Heger der 5 Jahre als Gefangener in Lebedjan verbrachte. Aus dem Buch Stationen meines Lebens von Rudolf Heger, Verlag: Stahl, Hajo, August 2008, ISBN: 978-3000254802
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